#LÜBECK
WIE WIRD AUS EINEM BAUM EIN KELLER?
Dieser Frage sind die jungen Frauen und Männer der Jugendbauhütte Lübeck im Rahmen des Kulturerbejahrs 2018 nachgegangen. Ihr Arbeitsplatz: eine öffentlich zugängliche Baustelle, auf der sie einen der ältesten erhaltenen Holzkeller unter authentischen Bedingungen nachgebaut haben. Besucher jeden Alters, vor allem aber Schulklassen konnten dort erfahren, wie vor 800 Jahren gearbeitet wurde. Auf den folgenden Seiten kann man das Projekt noch einmal per Video nacherleben.
#FSJ
FÜNF GRÜNDE FÜR EIN JAHR AN DER JUGENDBAUHÜTTE
● Arbeit mit dem Kopf, den Händen und allen Sinnen
● Erfahrungen mit Herausforderung von Reparatur und Pflege sowie Lösungen entwickeln
● echte Material-, Baustoff- und Konstruktionserfahrung
● Zusammenhänge zwischen Historie, Theorie und aktuellen Planungsprozessen erleben
● Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten
#SCHLESWIG-HOLSTEIN
DAS PROJEKT
Schicht für Schicht, Stein für Stein und Holz für Holz haben Lübecker Archäologen über mittlerweile Jahrzehnte die Keimzelle – das Gründungsviertel – der alten Hansestadt freigelegt und aus Puzzlesteinchen ein Gesamtbild über fast 900 Jahre Geschichte zusammengesetzt. Wie soll dieses in die Gegenwart und Zukunft fortgeschrieben werden? Wie weckt man gerade bei der jungen Generation das Interesse daran, das gemeinsame Erbe zu erhalten und Gleichaltrige als Multiplikatoren zu gewinnen? Die Lösung war eine Zeitreise in die Vergangenheit: Junge Erwachsene erkunden die Stadt und lernen aktiv historische Handwerkstechniken. Sie geben ihr neu erworbenes Wissen an Kinder und Jugendliche weiter, und auch der kritische Umgang mit Kulturdenkmälern in der modernen Stadtplanung wird hier schon den zukünftigen Generationen vermittelt.
ZEITRAUM__22.09.2017 – 31.12.2018
ALTERSGRUPPE__generationsübergreifend mit Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche
BETEILIGTE__Jugendliche der IJGD Jugendbauhütte Lübeck sowie ihr Leitungsteam, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Bereichs Archäologie und Denkmalpflege in den unterschiedlichsten Funktionen, zahlreiche Schulklassen unterschiedlicher Altersgruppen und Lübecker Bürgerinnen und Bürger.
VIDEOPRODUKTION__Die Filme wurden von den Jugendbauhüttlern selbst gedreht. Angeleitet wurden sie bei der Arbeit von dem Regisseur Christian Mertens. Beim Ton und Schnitt unterstütze Mediengestalter Tim Butenschön.
EUROPÄISCHE DIMENSION__Jede Stadt hat ihre eigenen Geschichten und Traditionen. Sie zu kennen schafft Verbundenheit und ist Grundlage, sich für sein gebautes Umfeld zu engagieren. Besonders bei Kindern und Jugendlichen hat sich gezeigt, dass eine aktive Beteiligung – vor allem auch durch Anfassen und Ausprobieren – nachhaltig zum Verständnis unseres kulturellen Erbes beiträgt.
RECHERCHETIPP__Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz informiert über die Aktivitäten der Jugendbauhütten.
INHALT
Lübecks Altstadtinsel ist ein Flächendenkmal und 1987 in die „Liste des Welterbes“ der UNESCO eingetragen worden. Jugendlichen bietet sie mit der Jugendbauhütte den idealen Rahmen, um die spannenden und abwechslungsreichen Aufgaben der Denkmalpflege kennenzulernen.
DABEI SEIN
ALTSTADTVIERTEL
MATERIAL
SPALTEN
STECKSYSTEM
ZUSAMMENBAU
AUSSTELLUNG
EXPERIMENTELLE ARCHÄOLOGIE
#DABEISEIN
«Man lernt unglaublich viel!» Jeppe Kröger ist aus Hamburg und 20 Jahre alt. Franka Wegner ist 19 Jahre alt und aus Lübeck. Beide haben innerhalb ihres Freiwilligen Sozialen Jahres in der Jugendbauhütte Lübeck gearbeitet.
#ALTSTADTVIERTEL
Im Gründungsviertel in Lübeck sollten nach historischem Vorbild Keller nachgebaut werden, die um 1180 errichtet wurden. Die Teilnehmenden versuchten den Bau vom Baum zum Keller auf historisch korrekte Weise ohne Maschinen nachzuempfinden. Zunächst wurden dazu zwei Kellermodelle im Maßstab 1:5 und 1:10 gebaut.
DAS JAHRESPROJEKT
Unweit der Marienkirche, im Gründungsviertel der Stadt, hatte man marode Gebäude einer Berufsschule der Nachkriegszeit abgerissen. So bot sich 2009 – 2016 die einmalige Gelegenheit, auf großer Fläche in der Lübecker Altstadt nach den Wurzeln der damals schnell wachsenden Handelsmetropole zu graben. Dabei wurden rund 40 Holzkeller – Lagerräume der Handelshäuser – aus dem 12. Jahrhundert freigelegt. Sie waren Vorbild im gesamten Osteeraum. Der größte, recht gut erhaltene Keller misst 6,5 mal neun Meter. Er besteht aus einem Schwellenkranz von dicken quadratischen Eichenbalken, die miteinander verzapft im Rechteck verbunden waren. In die Längsbalken wurden rechteckige Zapflöcher geschlagen, in die wiederum rund 1,65 Meter hohe quadratische Balken gesteckt wurden, die oben eine Nut haben, die dann die Querbalken, die sogenannten „Rähm“, aufnahmen. Gegen dieses Gebälk wurden von außen senkrecht Eichenbohlen gelegt, die durch die verfüllte Erde gegen das Gestell gedrückt wurden. So entstand ein sauberer Lagerraum – ohne einen einzigen Nagel. Darüber wurde auf eigenem Fundament das Steinhaus errichtet. „Die Balken wurden in unterschiedlicher Größe je nach Kellergröße immer nach dem gleichen Muster gefertigt, es war eine fast industrielle Kellerproduktion“, sagt Zimmermann Eric Janssen, der die fünf Jugendlichen der mobilen Baugruppe ausbildet. Dieser große Keller hatte auch eine Steintreppe mit gemauerten Seitenwänden, „das war die erste profane Verwendung von Backstein“, sagt Janssen.
#MATERIAL
Zuerst wurden Eichen mit dicken Stämmen aus dem Lübecker Forst auf historisch richtige Weise geschlagen. Der Transport der Stämme in die Stadt konnte nicht historisch korrekt erfolgen, doch nach der Ankunft wurden sie jedoch ausschließlich per Hand weiterbearbeitet.
#SPALTEN
Der nächste Schritt war das Spalten mit Keilen und Hammer. So kann das, was vom Baum nicht benötigt wird, entfernt werden. Ist ein Baum gerade gewachsen, fiel das Spalten und Behauen verhältnismäßig leicht, sonst musste mit der Axt nachgeholfen werden. Beim Behauen wurden mittelalterliche Breitbeile benutzt, weil sich damit gerade, glatte Flächen produzieren lassen.
#STECKSYSTEM
Der Keller ist ein Stecksystem, deshalb wurden aus den Holzbalken mit Stemmeisen und Klopfhölzern Holzverbindungen herausgestemmt, zum Beispiel Zapfen und Zapfenlöcher. Auf diese Weise entsteht eine stabile Konstruktion, die ganz ohne Nägel auskommt.
#ZUSAMMENBAU
Beim Zusammenstecken werden die Schwellen mit den sogenannten Verblattungen aufeinander gelegt. Dann werden die Ständer in die Zapfenlöcher gestellt. Oben in den Schlitze der Ständer wird das Rähm eingelegt. Das verhindert, dass die Ständer seitlich wegkippen können. Am Ende hält ein aufgelegter Deckenbalken die gesamte Konstruktion zusammen.
#AUSSTELLUNG
Zum Ende wurde der halb fertige Keller nach Berlin gebracht und dort live im Martin-Gropius-Bau in der Ausstellung «Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland» fertig gebaut.
#FORSCHUNG
EXPERIMENTELLE ARCHÄOLOGIE
Historische Nachempfindungen werden auch zu Forschungszwecken eingesetzt. Denn manche Funde geben den Archäologen Rätsel auf: Wie hat das Bauwerk ursprünglich einmal ausgesehen? Wozu wurde ein Gegenstand benutzt? Wie wurden bestimmte Bauteile hergestellt? Bei vielen dieser Fragen ist es wichtig, den Schreibtisch zu verlassen, um zu experimentieren.
Mit nachgebauten Steinäxten werden Bäume gefällt oder mit Steinbeilen Einbäume gezimmert. Es wird Getreide zu Mehl vermahlen, Hirsebrei gekocht, geschmiedet, gesponnen oder Feuer gemacht – und zwar alles mit den ursprünglich verfügbaren Arbeitsgeräten und Werkstoffen.
Vor allem in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern hat die experimentelle Archäologie eine lange Tradition: 1879 errichtete der dänische Amateurarchäologe Frederik Sehested mit steinzeitlichen Werkzeugen ein Blockhaus. Er konnte auf diese Weise beweisen, dass Holz auch ohne Metallwerkzeug professionell verarbeitet werden kann. Im Lübecker Projekt sollte ermittelt werden, wie lange der Kellerbau gedauert hat und wie viele gelernte oder ungelernte Handwerker daran gearbeitet haben.
Mit nachgebauten Steinäxten werden Bäume gefällt oder mit Steinbeilen Einbäume gezimmert. Es wird Getreide zu Mehl vermahlen, Hirsebrei gekocht, geschmiedet, gesponnen oder Feuer gemacht – und zwar alles mit den ursprünglich verfügbaren Arbeitsgeräten und Werkstoffen.
Vor allem in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern hat die experimentelle Archäologie eine lange Tradition: 1879 errichtete der dänische Amateurarchäologe Frederik Sehested mit steinzeitlichen Werkzeugen ein Blockhaus. Er konnte auf diese Weise beweisen, dass Holz auch ohne Metallwerkzeug professionell verarbeitet werden kann. Im Lübecker Projekt sollte ermittelt werden, wie lange der Kellerbau gedauert hat und wie viele gelernte oder ungelernte Handwerker daran gearbeitet haben.
